Digital Detox & Co. oder warum Veränderung von Verhalten immer Zeit kostet
Gerade in den letzten Tagen, als viele von uns bemerkten, dass WhatsApp, Facebook und Instagram über mehrere Stunden lang lahmgelegt waren, konnten wir vielleicht kurz innehalten und nachdenken, inwieweit wir mit Social Media und Internet stark verbunden sind – oftmals zuviel. Vielleicht wurden wir auch daran erinnert, wie sehr das Internet uns im Griff hat und wie schön es wäre, manchmal ganz ohne Digitalisierung und Internet auszukommen.
Aber auch in vielen anderen Bereichen wünschen wir manchmal eine Veränderung, und wie wir diese anpacken können, wissen wir oft nicht und deshalb fällt es uns auch immer wieder mal schwer.
Wer mit seinem (Digitalen) Leben rundum zufrieden ist und keinen Veränderungswunsch hat, kann diesen Beitrag übergehen. Doch wer zumindest annähernd meint, ach, da könnte doch irgendwas anders werden, der sollte sich selbst, seine Umgebung und die Rahmenbedingungen dazu auf den Prüfstand stellen.
Doch wie kommen wir nun zu einer guten Lebensgestaltung in einer reizüberfluteten Welt? Da es auf jeden Fall um Veränderung geht, ist es wichtig zu wissen, dass Veränderungen immer einher geht mit gewissen Maßnahmen und dauerhaft eingefügten neuen Verhaltensweisen. Gleichzeitig bedeutet es auch eine Neubewertung dessen, was wir gewohnt sind und was wir uns zukünftig wünschen.
Diese mentalen Bewertungen, die wir laufend machen, kommen aus dem Denken und aus dem Verstand. Wenn wir also bisher unsere Komfortzone, also all das, was wir gewohnt waren als “gut für uns“ bewertet haben, ist dies in uns gespeichert. Es ist eine Erkenntnis aus der jahrelangen kognitiven Verhaltenstherapie, dass Menschen ihr Handeln, ihre Situation, ihre Ereignisse, mental bewerten und dies in ihrem Gehirn abgespeichert als Erfahrungs- Gedächtnis haben.
Zum Ändern von Verhaltensgewohnheiten dauert es mehrere Monate, bis sich etwas Neues wieder erlernt hat. Wir nennen das auch „Unlearning“. Ja, und wir lernen am besten mit Bildern. Positives besser mit positiven Bildern, weil das positive Gefühle hervorruft, und wir am besten lernen, wenn wir gute Gefühle dabei haben. Ich möchte Dir ein lustiges Beispiel einer mentalen Bewertung zeigen, die einer der wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart, Walter Mischel[1] beschrieben hatte: „Jeder der eine Diät macht, weiß, dass süße Verlockungen eine Anziehungskraft ausüben, sobald der Kühlschrank offen ist oder der Kellner die Desserts aufzählt. Die Anziehungskraft liegt jedoch nicht im Reiz selbst, sondern in seiner mentalen Bewertung: wenn man anders über ihn denkt, erlebt man ihn anders und reagiert auch anders darauf. Das verlockende Mousse au Chocolat auf dem Servierwagen des Restaurants wirkt weniger verführerisch, wenn man sich vorstellt, dass gerade eine Kakerlake in der Küche daran genascht hat.“
Damit will ich also konkret dazu anregen, einmal über die bisher lieb gewonnenen Lebensgewohnheiten nachzudenken, und diese gegebenenfalls neu zu bewerten. Logischerweise nur, wenn Du diese verändern willst oder verändern musst. Denn wenn wir zur Veränderung unseres Lebens und somit auch unserer Lebensgewohnheiten bereit sind, kommen wir nicht umhin, auch bisher lieb gewonnene Dinge oder Ereignisse oder Konsumgewohnheiten neu zu bewerten. Warum rege ich das an: wer aus einer reizüberfluteten Alltagswelt zumindest realistisch aussteigen will, und damit meine ich tatsächlich realistisch, also nicht zwingend in Form von “auf eine Insel ziehen“ oder „unter der Brücke leben“ dann meine ich das in Form von alltagstauglicher Integration ins Leben.
Damit aber begeben wir uns in die Situation, dass wir überlegen dürfen, was uns zu viel geworden ist und was wir in Zukunft anders gestalten wollen. Dazu bedarf es vielerlei unterschiedlicher Kompetenzen: einerseits der Entscheidung für Veränderung, andererseits dem Betrachten der Situation, so wie sie ist. Und darüber hinaus dann ein Neu-Bewerten einer zukünftig gewünschten Situation, die eben vieles nicht mehr enthält, was wir aber bisher gewohnt waren zu haben oder zu erleben. Denn die Bereitschaft für „weniger ist mehr“ bedeutet nichts anderes, ein paar der bisherigen Gewohnheiten einfach aufzugeben. Nicht mehr und nicht weniger. Da wir aber mental bewerten, und viele der Gewohnheiten logischerweise für uns als positive Gewohnheiten mental bewertet hatten, denn sonst hätten wir sie ja nicht gehabt, gilt es hier erst einmal diese Gewohnheiten anzuschauen und warum und wie sie uns womöglich gar nicht zu sehr gut getan haben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: unser Alltag ist geprägt von vielen unterschiedlichen Aktionen: wir haben einen Berufsalltag, der mit vielen unterschiedlichen Themenbereichen zu tun hat, und daher zum großen Teil sehr komplex und umfassend geworden ist. Das ist zunächst einmal unabhängig vom Beruf und der jeweiligen Branche.
Denn wir alle sind mittlerweile im stark umgeben von komplexen Bearbeitungsabläufen, dass bereits durch diese Komplexität unser Alltag genug befrachtet ist. Bei Social Media und Internet-Konsum, aber auch Fernsehkonsum und sonstigen alltäglichen Gewohnheiten bedeutet dies, kürzer zu treten, wenn wir meinen, es ist an der Zeit:
wir schauen fern, betreiben wenig Sport, wir treffen uns mit Freunden, wir gönnen uns immer wieder mal Pausen (oder auch nicht), und wir tummeln uns in 1000 Social Media Kanälen. Eine amerikanische Vereinigung von Kinderärzten hat in einer Studie über den Medienkonsum von Kindern Folgendes veröffentlicht: dass in den USA „durchschnittlich Acht- bis Zehnjährige fast 8 Stunden täglich mit verschiedenen Medien, bei größeren Kindern und Jugendlichen sind es über 11 Stunden,“ zubringen.“[2] die Tendenz, dass amerikanische Gewohnheiten zeitversetzt in Europa ankommen, lässt also vermuten, dass unsere Kinder bereits ähnliche Gewohnheiten und diese Zeiten für Medienkonsum auch bei uns Realität sein werden. Viele deutsche Unternehmen, aber auch Hochschulen und Bildungseinrichtungen beklagen schon seit längerem die Gewohnheiten der jungen Menschen im Bereich Konzentration, Aufmerksamkeit und das Bildungsniveau.
Aber unabhängig davon, dass es sich hier um Statistiken von Kindern und deren Nutzung im Social Media Bereich handelt, können wir dies auf unsere Gewohnheiten erst einmal selbst übersetzen: wie häufig schauen wir fern, wie häufig nutzen wir so schön wie der, wie häufig sind wir draußen in der Natur, wie häufig setzen wir vor unserem Smartphone und schicken kurz noch eine Nachricht und dann noch mal eine Nachricht und so weiter und so fort? Wie gut sind wir in der persönlichen Kommunikation und in der persönlichen Ansprache mit Menschen?
Wann startest Du Deinen persönlichen Checkup für Zuviel im Leben und der Veränderung von Gewohnheiten, die Du nicht mehr magst?
Speziell bei Digital Detox bedeutet es konkret, die Situationen neu zu bewerten: Konsum von Social Media aus Langeweile, Frust, Lustgewinn oder ähnlicher Motivation mit anderen Aktivitäten zu ersetzen, beispielsweise durch Sport, gesundes Kochen, Treffen mit Freunden, Naturerlebnissen usw. – hier ist die Kreativität jedes Einzelnen gefragt. Und die Disziplin.
[1] Walter Mischel, Der Marshmallow Test – Willensstärke, Belohnungsaufschub und die Entwicklung der Persönlichkeit – , 2015 Siedler Verlag, S. 52
[2] „Policy Statement children, Adolescents, and the media“, Pediatrics: Official Journal of the American Academy of Pediatrics 132 (2013), S. 959
Umsetzungs-Tipps
Mach doch einfach mal eine Selbstreflektion: wie häufig kommuniziere ich ausschließlich über Social Media?
Welche Kommunikationsmittel nutze ich außerdem: persönlicher Kontakt, telefonischer Kontakt usw.
Wie komme ich normalerweise in Balance? Was tut mir gut? Durch welche Aktivitäten kann ich teilweise übertriebenen Social Media Konsum ersetzen?
Welche Gewohnheiten bewertest Du zukünftig neu?
Welche Möglichkeiten für Deine Work-Life-Balance gibt es? Schreib eine Liste und mach Dir mindestens 10 Punkte als Auswahlmöglichkeit. Diese solltest Du zur Hand haben, wenn Du Dir immer mal wieder eine kleine Social Media oder Internet Diät verschreibst.
Natur – ist hilfreicher als Du denkst. Sie bringt immer sofort eine gewisse Ruhe und ist ein idealer Ausgleich für längere Internet- und Social Media Zeiten.